Reise nach Centauri: 22. Kapitel
 
Morgan senkte die Hände und ließ die Eskorte die organischen Fesseln von seinen Handgelenken entfernen. Die Fesseln fielen zu Boden und verhärteten sich zu einer harten Masse. Morgan rieb sich die kräftigen Handgelenke und sah sich mit einem amüsierten Gesichtsausdruck in der Kommandozentrale um.

"Danke, Captain. Ich versichere Ihnen, daß ich meine Freiheit zu schätzen weiß."

"Ihre Versicherungen in Ehren, Mr. Morgan, aber auch das Psycho-Profil, das uns über Sie vorliegt, ist sehr hilfreich. Wie dem auch sei, für den Anfang müssen wir Sie in den Quartieren unter Arrest stellen."

"Sehr gut", entgegnete Morgan kurz angebunden.

"Sind Sie darüber verärgert?", Garland drehte sich um, um ihn anzusehen.

"Es ist schwer, mich zu verärgern, Captain. Ein Geschäftsmann kann nicht erfolgreich sein, wenn er sich von seinen Gefühlen leiten läßt. Allerdings bin ich eine bevorzugte Behandlung gewohnt." Morgan schüttelte den Kopf. "Machen Sie sich keine Gedanken. Das hier ist eben eine andere Welt."

"Ja. Die Sie bereits betreten haben, als Sie ohne Erlaubnis dieses Schiff bestiegen." Morgan holte tief Luft, als wollte er etwas entgegnen, dann begann er allerdings plötzlich zu lächeln und hob eine seiner kräftigen Hände.

"Schon gut."

"Wegtreten." Captain Garland drehte sich um und blickte für einen Moment auf sein Sensorfeld. Er wählte eine Außenkamera an und paßte den Blickwinkel seinen Vorstellungen an, dann starrte er kurz auf den Bildschirm. Hinter ihm zögerte Morgan und versuchte einen letzten Blick zu erhaschen, bevor ihn die Eskorte zur Ausgangsluke führte.

"Der Planet", sagte Captain Garland ruhig. Auf dem Bildschirm erstrahlte das gelobte Land in einer farbenfrohen Sphäre aus Gold-, Blau- und Orangetönen. Wolken trieben in einer erdähnlichen Atmosphäre, die sich nur durch das Gasgemisch von dieser unterschied. Und natürlich durch fremde Lebensformen, die sich unter den Wolken verbargen. Er rief Zakharov zu sich, ohne das Bild aus den Augen zu lassen. "Prokhor, sind Sie bereit, den Fusionsantrieb zu reaktivieren?"

"Ja, Captain", meldete Prokhor. Er klang seltsam gedämpft. "Wir haben ohnehin keine Wahl. Die Zeit drängt."

Garland blickte auf. "Aber Sie sind trotzdem zuversichtlich? Sind Sie bereit?"

"Wie ein Pfadfinder, Captain", murmelte Zakharov. "Eine 100 %ige Sicherheit gibt es nicht, aber ich habe keine Lust, im All zu sterben. Meine Männer sind zuversichtlich. Ja, wir sind bereit."

"Sehr gut. Ich werde die Crew in Alarmbereitschaft versetzen."

"Wie wäre es zuerst… mit Sonden, Captain?" meldete sich Lal vorsichtig zu Wort. "Wir könnten doch die erste Gruppe auf den Planeten schicken, um Bodenproben zu entnehmen."

"Ja, könnten wir, obwohl wir uns immer noch fast genauso schnell bewegen wie die Sonden. Was hätten wir davon?" Er sah Pravin Lal in die Augen und erkannte die Besorgnis im Gesicht seines Freundes.

Er ist nicht sicher, ob wir es schaffen. Das könnte unsere letzte Chance sein, Sonden auf den Planeten zu schicken... Der Captain nickte. "Verstehe."

"Wir müssen, Captain", gab Zakharov offen zu. "Sollte es das Schiff nicht schaffen, könnten wir wenigstens Aufzeichnungen hinterlassen. Wichtige Daten für zukünftige Missionen."

"Ich weiß. Sie haben recht. Starten Sie die Sonden. Schnell. Anschließend bereiten Sie die Zündung der Triebwerke vor."

Zakharov wandte sich seinem Sensorfeld zu und gab einige Befehle ein. "Ich brauche Ihre Genehmigung, um die Startsequenz auszulösen, Captain", sagte Zakharov und Garland wußte, daß der Russe es haßte, wissenschaftliche Abläufe durch ihn bestätigen lassen zu müssen. Garland gab einen Autorosierungscode ein. Zahlreiche rote Dioden schalteten nun auf Gelb um. Die erste Gruppe Planetensonden war startbereit.

"Ich informiere Deirdre Skye. Sie will sicher dabeisein", sagte Garland.

"Ja", entgegnete Zakharov mit ätzender Stimme. "Sie soll miterleben, wie die Verschmutzung ihrer unberührten Welt beginnt."

"Ihre Bedenken sind angebracht, wenn auch übertrieben", wies ihn Garland zurecht.

"Ziemlich übertrieben. Finden Sie nicht auch, Direktor Morgan?" Zakharov hatte seine Frage an Morgan gerichtet, der, die Eskorte hinter sich, immer noch in der Ausgangsluke stand. Dieser lächelte und sagte.

"Unberührtes Gelände. Wir wissen um die Schönheit dieses Planeten, weil wir die Metalle der Erde ausgebeutet, Tiere getötet und die Luft mit Chemikalien verpestet haben. Möglicherweise ist der Vorwurf korrekt: Wir haben unsere Welt vergewaltigt. Doch ohne den Prozeß der Wissenschaft und die Industrie wüßten wir nicht einmal, daß dieser wunderbare Planet existiert.

"Dort draußen gibt es Millionen von Welten. Einige möglicherweise tausendmal schöner als die Welt, die vor uns liegt. Lassen wir unsere Umweltschützer doch von unbefleckten Welten träumen, wenn dies ihren Geist beflügelt. In unserem Fall lassen Sie uns die Welt, die vor uns liegt ... erforschen und genießen. Es ist unmöglich, Schönheit zu erkennen, ohne sie zu verändern."

"Ich bin sicher, Officer Skye würde das anders sehen", entgegnete Garland. "Aber das ist im Moment nicht so wichtig."

"Captain", unterbrach Lal mit ungewöhnlich ernster Stimme. "Sicherheitsdiagramm... das Treibhaus!"

Garland fragte rasch die Sicherheitskoordinaten D7 ab. In Kamera 117B blinkte eine Warnleuchte. Fünf Gestalten pirschten sich an das Treibhaus heran.

"Luken schließen!" befahl der Captain.

Im Treibhaus hörte Deirdre die Alarmsirenen und das Zischen der sich langsam schließenden Lukentür.

"Sie schließen die Luken!" rief sie, ließ die pneumatische Schere fallen und sprang auf. "Schnell, rein!" Hastige Bewegungen wurden vom Donnern der schweren Metalltüren unterbrochen, als diese sich schlossen.

Deirdre traf auf eine Gruppe von Menschen, die sich in einem Halbkreis um die Eingangsluke versammelt hatte. Sylvia sah sie zuerst. Ihr schlanker Körper war starr vor Angst.

"Sylvia, sind Sie OK? Sie müssen die Luken aus der Kommando…"

"In der Tat", entgegnete eine fremde kalte Stimme mit spanischem Akzent.

"Und ich hoffe, Sie wissen den Code, um die Luke wieder zu öffnen, Officer."

Dort, vor der gewaltigen Tür stand eine Frau. Sie trug den roten Raumanzug eines Sicherheitsoffiziers. Allerdings war ein Schulterstück abgerissen worden und entblößte nackte Haut. Die Frau war gedrungen und hochaufgerichtet; Ihr stahlschwarzes Haar war zu einem Zopf geflochten, was die strengen Züge ihres makellosen aber mitleidlosen Gesichtes unterstrich. Schwarze Augen fixierten Deirdre; die Fremde hatte eine Splitterpistole auf sie gerichtet. Neben der Frau stand ein kleiner Mann mit kahlgeschorenem Schädel. Auch sein Kampfanzug hatte eine zerrissene Schulterpartie und auch er hielt eine Splitterpistole in der Hand. Selbst der zornige Gesichtsausdruck und die erbarmungslose Mine waren gleich.

Sie waren also zu zweit, nicht mehr. Als sie sich näherten, konnte Deirdre unter den zerrissenen Uniformen eine Tätowierung erkennen. Beim Anblick der Tätowierung fuhr ihr erneut ein Schreck durch die Glieder. Ein nach unten zeigender Pfeil in einem Sechseck, vielleicht mit einem Laserbohrer tätowiert.

"Ich bin Colonel Santiago", sagte die Frau mit einem Lächeln. "Ich hoffe für Sie, daß Sie wissen, wie diese Luke geöffnet wird."

Deirdre wich nicht aus, sondern beobachtete Santiago mit geweiteten Augen, als diese sich in Bewegung setzte und wie ein Raubtier seiner Beute näherte. Deirdre versuchte, das Gesicht der Frau zu lesen; sie bewegte sich vorsichtig, doch ohne Furcht; keine Bewegung war unüberlegt. Vorsichtig hob Deirdre ihre Hand, um Verbindung mit Garland aufzunehmen.

"Captain, hier Officer Skye. Ich habe hier zwei der Rebellen", bei den nächsten Worten straffte sich Santiagos Körper, "im Treibhaus. Eine von ihnen ist Santiago. Bitte um Anweisungen."

Santiago beobachtete sie und lächelte.

  Persönliches Logbuch
R. Junack, Sicherheitsdienst

Wir wurden von Santiago getrennt, doch wir
machen uns um sie keine Sorgen, zumal ich
sicher bin, daß auch sie sich nicht um uns
sorgt.

Unsere Befehlskette ist stabil. Sollte einer
von uns fallen, tritt ein anderer an seine
Stelle. Bis zum letzten Mann. Dies hat uns
Santiago gelehrt.