Reise nach Centauri: 14. Kapitel
 
Miriam erwachte vom Geschmack ihres Blutes im Mund. Ein grelles Licht blendete sie. Sie schloß ihre Augen und öffnete sie wieder ... Sie spürte ihr pochendes Herz in den Ohren. Ihre Haut fühlte sich warm an. Durch die zerborstene Glasscheibe erkannte sie die geneigte Außenwand der Kapsel. Jede Schweißnaht und jeder Kratzer waren deutlich zu sehen. Um sich herum nahm sie das Knarzen des Schiffes wahr, einen sanften Windhauch und das Pochen der Herzen ihrer Crew, das das gesamte Kältedeck erfüllte.

Vorsichtig hob sie ihre Hand. Auf ihrem Bauch fühlte sie etwas Klebriges und eine harte kalte Spitze, die in ihrem Körper steckte.

Blut und Glas. Bruchstücke...

Sie schloß erneut die Augen und konzentrierte sich. Es mußte ihr gelingen, aus dem zufälligen Strom der Eindrücke das Konkrete, Kleine, Naheliegende herauszufiltern. Ihre Lippen bewegten sich, als sie begann, Gebete zu murmeln, die sie auf der Erde gelernt hatte und die ihr stets - auch in schweren Stunden - geholfen hatten.

Ihr Herz raste, die Erregung, die ihren hyperkinetischen Körper ergriffen hatte, wuchs. Sie konnte ihre Hände frei bewegen. Blut an den Fingern, geborstenes Glas und ein Metallwrack, was einst ein Raumschiff gewesen war. Doch sie lebte. Sie war in Licht, gleißendes Licht eines nahen Sternes oder einer Vision getaucht; Licht, nach dem sie auf der Erde immer gesucht hatte.

Erneut bewegte sie die Hand. Dieses Mal in Richtung ihres Halses, um den sie einst ein kleines metallenes Kreuz getragen hatte. Es muß irgendwo neben ihr liegen ... sie hatte es während des Kälteschlafs nicht anlegen dürfen, doch sie konnte sich das kühle Kreuz auf ihrer Haut vorstellen.

Miriam.

Eine Stimme und ein Licht. Sie richtete sich langsam auf, um die Quelle zu sehen.

Gedankenfetzen schossen ihr durch Kopf: Die Mission. Die Menschen um sie herum. Ihr Körper verletzt, ihr Blut plötzlich sterblich wie das Blut der Menschen. Wie hatte ihr Mentor den menschlichen Körper genannt? Ein "zerbrechliches Vehikel für die Seele".

Sie konzentrierte sich auf die pochenden Herzen. Ihr eigener Puls raste. Der Computer, der ihre Vitalfunktionen überwachte, überflutete sie mit einem Cocktail aus Drogen, Medikamenten und hatte nur das eine Ziel: sie am Leben zu erhalten.

Miriam!

Wieder diese Stimme. Das Glas begann sich zu bewegen und zusätzliches Licht überflutete sie. Dann erkannte sie einen Schatten, eine Hand, die sie ergriff und nach oben zog.

Als sie sich aus der sargähnlichen Kapsel erhob, wußte sie, daß Gott sie verschont hatte. Sie lebte. Kein Schatten würde ihr den Weg auf ihrer einzig wahrhaftigen Mission versperren - eine Mission, gegen die dieses Schiff und seine gesamte Besatzung nichts als ein Funken in einem lodernden Scheiterhaufen waren.

Ein Arm legte sich um ihren Körper und sie genoß seine wohltuende Wärme. Wiederbelebung

  Medizinisches Logbuch
Zustandsbericht, Zelle 986
Subjekt: Miriam Godwinson

00: Zellstruktur verletzt. Automatische
Aufwachsequenz initialisiert.

01: Puls 120, Blutdruck fällt auf 90/60.
Verletzung mit leichten bis schweren
Blutungen. Injiziere 10 mg Dopamin, Zelldruck
gesenkt [Blutung stillen]

02: Puls steigt auf 128. Blutdruck 84/67.
Verabreiche weitere Dosis Dopamin und
Morphium.

03: Subjekt reagiert nicht. Verbindung mit
zentraler Datenbank gestört. Alarmstufe Rot.

04: Alarmstufe Rot.

05: Alarmstufe Rot.

06: [Verbindung abgebrochen]