"Wo ist Doktor Yang? Er sollte längst hier
sein." Garlands Frage stand im Raum der Kommandozentrale. Er strich mit seinen
Fingern am Kragen entlang ... als wenn mit der steigenden Spannung auf dem
Schiff auch die Hitze einherginge.
Ein weiterer Fähnrich, Martchenko, hatte Khosas Platz an der
Wissenschaftskonsole eingenommen. Er fing hastig an zu reden.
"Das ist richtig, Captain." Er rief eine Schema-Darstellung des Schiffs auf
und erhielt eine Vergrößerung von Yangs Kapsel. "Kältedeck
3, Kapsel 457. Offen."
"Wo ist er denn hingegangen?"
"Tja, wohin nur?" war eine Stimme zu hören, verzerrt durch statisches
Rauschen, die ungebeten aus der Kommunikationseinheit kam.
"Verfolgen!" schrie Garland, eilte hinüber zur Kommunikationskonsole.
"Hören Sie, hier spricht Captain Garland. Identifizieren Sie sich."
Zakharov war erstarrt, studierte die Situation, versuchte, die Wendung der
Ereignisse in logische Strukturen zu zwingen, die nur wenig Raum für
menschliche Zweifel ließen. Garland hört auf, ihn anzustarren
und wendete sich wieder der Stimme zu.
"Ich bin Corazon Santiago, Captain, vom Sicherheits-Personal. Dr. Yang ist
bei mir." Garlands Hand wanderte zu den Abzeichen seiner Uniform, als er
die Personenlisten des Schiffs durchging. Santiago ... die Stimme dieser
Frau klang sanft, befehlend, brüsk ... elegant und trotzdem irgendwie
flach.
Das Sensorfeld der Kommunikationskonsole flackerte ohne ersichtlichen Grund
und zeigte einen tabellarischen Lebenslauf: Name, Corazon Santiago,
Sicherheitsfunktionärin unter Dr. Yang. Ein Lieutenant, verantwortlich
für eine Division von Männern und Frauen, insgesamt über hundert,
was auf den ersten Blick nicht richtig einleuchtete. Strenge Gesichtszüge,
hellbraune Haut, geboren in Puerto Rico, dann nach Mexico City umgezogen,
letztendlich in New Los Angeles gelandet. Alles Städte, die sich zu
Kriminalitätshochburgen entwickelten, in denen sich Bandenkriege abspielten,
Brandstiftungen, Raubüberfälle, die in den letzten Tagen der Erde
Bestandteil des normalen Lebens waren.
Dunkelbraune Augen starrten ihn herausfordend vom digitalisierten Bild an.
"Möglicherweise wissen Sie bereits, daß ich aus dem Kälteschlaf
aufgeweckt worden bin durch einen selbstausführenden Befehl, der in
Ihrem System durch ... sagen wir mal, einen Freund von der Erde plaziert
wurde. Ich und 50 andere Kollegen von mir sind Mitglieder der Sparta-Koalition.
Kennen Sie uns?"
Auf der kleinen Konsole wurden ihre gesprochenen Worte abgebildet ... Garland
markierte Sparta-Koalition und erstellte einen Link. "'Eine Gruppe radikaler
Überlebender aus Los Angeles mit weitreichenden politischen Verbindungen.
Entschlossen, für das Überleben der Menschheit im wachsenden Chaos'
des späten 21. Jahrhunderts zu sorgen.' Hört sich so an, als seien
Sie einfach eine von uns."
Sie lachte. "Ich versichere Ihnen, daß ich Ihnen nichts antun möchte.
Meine Leute und ich möchten nur einen ausreichend großen Teil
der Schiffsvorräte erhalten und einen eigenen, abgetrennten Teil des
Planeten zugeteilt bekommen, um unsere eigenen Ziele zu verfolgen."
"Und wodurch unterscheiden sich Ihre Vorstellungen von den unseren? Stellen
Sie unseren Überlebenswillen in Frage? Mußten Sie deswegen die
Aufzeichnungen des Schiffs ändern und die gesamte Mission in Gefahr
bringen?"
"Schauen Sie sich um, Captain. Diese Mission stinkt vor Politik unter dem
Deckmantel des Idealismus. Wir kümmern uns nur ums Überleben, schlicht
und einfach, und dieser Fokus verleiht uns Macht. Wir möchten unsere
Vorstellungen zu unseren Bedingungen realisieren."
Die Augen des Captains zuckten, als er versuchte, ihre Forderungen zu verarbeiten
und die Gefahr zu analysieren, die daraus für das Schiff und die Tausenden
Menschen im Kälteschlaf entstand.
"Warum kontaktieren Sie mich jetzt? Wenn Ihr Ziel das Überleben in seiner
schlichtesten Form ist, warum können Sie dann Ihr Ziel nicht einfach
auf der Erde selber verfolgen?" Pause. "Sie sollten bemerkt haben, daß
das Schiff vom Kurs abgekommen ist. Wenn wir es nicht innerhalb von 34 Stunden
repariert haben, werden wir am Centauri-System vorbeifliegen und Jahrzehnte
für die Rückkehr brauchen." Eine weitere Pause. Stille. "Sie
können das Schiff nicht alleine reparieren. Das müssen wir gemeinsam
erledigen."
Als die Stimme wieder ertönte, war der Ärger deutlich
herauszuhören, die Gewaltbereitschaft, die unter der Oberfläche
schwelte. "Ich will keine philosophischen Debatten mit Ihnen führen,
Captain. Unser Kurs ist klar.
Reparieren Sie das Schiff, wenn Sie der Meinung sind, daß das notwendig
ist, aber in Anbetracht der Tatsache, daß wir entdeckt sind, müssen
wir gewisse Schritte unternehmen, um unsere Position zu sichern. Alles andere
ist unwichtig, und deswegen werden wir überleben."
"Wegen eines egoistischen Ziels, das die Mission gefährdet?"
"Genau deswegen." Er konnte die kalte Genugtuung förmlich durch die
Kommunikationsverbindung spüren. Pravin Lal schüttelte den Kopf,
sie konnten alle die Endgültigkeit in ihrer Stimme hören.
"Was wollen Sie also?"
"Ich schicke einen Abgesandten zur Kommandobrücke. Dann werden wir weiter
diskutieren."
"Wir können in der Kommandozentrale kein ... rebellisches Besatzungsmitglied
zulassen."
"Sie können, Captain. Ich sage Ihnen, Sie können das. Sperren Sie
lieber nicht den Lift, oder wir werden Ihre Ingenieure nacheinander aufsammeln."
Garland hörte einen russischen Fluch. Wütend dachte Garland nach
... Was haben sie in ihrem Besitz? Wieviele sind es wohl?
Er mußte Zeit schinden.
"Nun gut, Corazon. Schicken Sie Ihren Abgesandten und lassen Sie das
Instandhaltungs- Personal in Ruhe."
"Nennen Sie mich nicht beim Vornamen, Captain. Verbleiben Sie in der
Kommandozentrale, wir sehen uns in Kürze." Die Verbindung wurde abgebrochen.
Captain Garland ging zu Lal.
"Wo ist sie?"
"Die Kommunikationsverbindung wurde von einem Lagerraum auf Kältedeck
3 hergestellt, wo sowohl sie als auch Dr. Yang schliefen."
"Ein großer Teil des Sicherheitsteams ist dort untergebracht." Er wanderte
auf und ab. "Stellen Sie fest, wie viele sie in ihrer Gewalt haben ..."
"Jawohl, Captain." Pravin bediente sich wieder der formalen Anrede, als die
Krise schlimmer wurde.
Garland wandte sich an Fähnrich Martchenko. "Nehmen Sie sich den Lebenslauf
von Santiago vor. Überprüfen Sie schleunigst die Daten-Einträge
des Waffenlagers. Wir müssen wissen, ob sie bewaffnet sind."
Der junge Fähnrich begann hektisch, auf die Schalter der Sensorfelder
zu tippen. Garland stieß einen tiefen Atemzug aus und schaute auf die
Sicherheitsmatrix. Verschiedene Kameras waren nun ausgeschaltet, oder die
Räume, die sie bewachen sollten, lagen im Dunkeln. Systematische Sabotage
oder Kreisläufe, die durch die lange Reise ausgepowert waren?
"Glauben Sie, daß sie angreifen werden? Wie gefährlich sind sie?"
fragte er leise. Eher rhetorische Fragen. Captain Garland schaute hinauf
zur niedrigen Decke der Kommandozentrale, wo das Stern-Wappen der United
Nations in das Metall eingeprägt war. Das beschädigte Schiff ...
Er ging zur Wissenschaftskonsole. "Commander Zakharov, wir müssen ..."
Aber der Russe war nirgends zu sehen. Zakharov war verschwunden.
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