Reise nach Centauri: 8. Kapitel
 
Die Luke der Kältekapsel öffnete sich mit einem Zischen, und Sheng-ji Yang stieg hinaus in die Dunkelheit und die unmittelbare Gefahr. Von den Schatten, die seine Kapsel umzingelten, wurden Pistolen auf ihn gerichtet, die tödlichen Mündungen direkt vor ihm.

Sheng-ji blieb ruhig stehen, stemmte seine Hände gegen die Kältekapsel, weil ihn Wellen der Nachwirkungen seines langen Schlafs zu überrollen drohten. Jetzt nur keine Schwäche zeigen ... seine Augen versuchten, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen und die Positionen jedes einzelnen Feindes auszumachen. Er konnte keine Gesichter erkennen ... die Hauptlichter dieses Decks schienen ausgefallen oder ausgeschaltet zu sein. Er konnte lediglich die anderen Kältekammern in ihrem sanften, bläulichen Licht sehen, wie phosphorisierende Blumen in einem Feld der Dunkelheit.

Er zwang sich, seine Muskeln zu entspannen, mit eisernem Willen. Seine Augen wanderten nur einmal kurz hinüber zum schwarzen, verschlossenen Metallkästchen auf dem Regal unten an seiner Kältekapsel. Er würde seine Absicht nicht verraten, indem er noch einmal dorthin schauen würde, aber in seinem Kopf rekonstruierte er die genaue Position des Kastens auf dem Regal, seine exakte Entfernung vom Boden und die Position des sanft leuchtenden, digitalen Druckverschlusses. In diesem Kästchen lag sein persönliches Waffenarsenal verborgen: seine Splitterpistole, ein Lähmstab und organische Fesseln.

"Weg von der Kapsel. Folgen Sie dem Pfad, den wir Ihnen vorgegeben haben", hörte er eine harsche Stimme aus einer Ansammlung von Schatten nur zwei Kapseln entfernt. Er schaute nach unten und sah die schimmernden blauen Punkte, die von der Kapsel wegführten. Warum?

"Auf wessen Befehl?" fragte er mit rauher Stimme ... der Kampf war eröffnet.

"Antwortet ihm nicht", kam eine leise, aber scharfe Stimme von einer Position, die erstaunlich viel näher war, als die vorige, offenbar nur eine Armlänge entfernt. Ein kurzer Schauder durchfuhr ihn ... daß sich diese Person so nahe an ihn heranwagte. Er beobachtete die Schatten genau und konnte eine Silhouette ausmachen. Dieser Schatten, diese Person ... sprungbereit abwartend in katzenhafter Haltung ... Wer war das?

"Antwortet diesem Mann nicht", fuhr die Stimme fort. "Ihr dürft nicht mit ihm sprechen. Und, Doktor Yang, sprechen Sie auch nicht. Folgen Sie einfach nur dem Weg, den wir für sie angelegt haben."

"Soll ich ..."

Plötzlich setzte sich die Gestalt in Bewegung, und in nur Bruchteilen von Sekunden wurde Yang von einem Peitschenhieb getroffen. Er fühlte Schmerzen, wie rotglühende Drähte in seinem Nacken, und fiel auf die Knie, seine Schwäche verfluchend, die nach dem Schlaf seine Reflexe lähmte.

Lähmpeitsche, dachte ein Teil von ihm ganz ruhig. Sie waren im Waffenlager. Dann lächelte er, als sich der Schmerz verstärkte ... er begrüßte ihn, öffnete sich ihm, ließ ihn auf seinen Nerven tanzen und in die Wirbelsäule übergehen. Schmerz, wecke mich ...

"Wir wollen Ihnen nicht weh tun, aber ich kenne Ihre besonderen Fähigkeiten. Sie müssen meinen Anweisungen folgen. Sprechen Sie nicht, krabbeln Sie entlang der blauen Linie."

Er schaute auf die blauen Punkte am Boden, er fühlte sich immer noch schwummerig. Seine Augen blickten kurz zur Raumecke, eine dunkle Zone, und er erahnte eine gekrümmte, metallene Schotte. In dieser Dunkelheit konnte er sich das silberne Auge der Sicherheitskamera vorstellen, das auf ihn herabblickte, ihn jedoch in der entfernten, dunklen Ecke nicht mehr ausmachen konnte, in die die blauen Punkte führten.

Er fühlte, wie sich die Muskeln in seinem Rücken anspannten, fühlte den kühlen Metallboden unter seinen Händen.

Abrupt stand er auf. Elektrisierte Spannung durchzuckte den Raum, als sich die Pistolen wieder auf ihn richteten. Er konnte die Unsicherheit fast körperlich wahrnehmen ... sollen wir auf ihn feuern? ... und es hing dieses bleierne Gefühl der Angst in der Luft. Er machte einen langsamen Schritt entlang der blauen Punkte, schlurfend wie vor Müdigkeit, und dann schleuderte ihn jeder seiner Muskeln zurück in Richtung seiner Kältekapsel, und ein Schrei aus den Tiefen seiner Lungen zerschnitt die dunkle Stille. Mit einer Rolle rückwärts erreichte er die Metallbox, nahm sie in die Hände ... keine Bewegung zuviel, jeder Handgriff saß. Er hatte das Geschehen bereits vor seinem inneren Auge ablaufen lassen, und dann ...

... gab es kein zurück mehr. Er richtete sich auf und machte einen Satz zu seiner Kältekapsel, wobei ihn das blaue Licht nur für einen kurzen Augenblick anstrahlte. Eine Salve aus Pistolenschüssen feuerte in die Dunkelheit, flog ihm um die Ohren, zerstörte das Glas unter seinen Füßen, und als er sich bewegte, fühlte er erneut den stechenden Schmerz der Lähm-Peitsche auf seinem Rücken.

Eine Woge des Schwindels erfaßte ihn, aber anstatt ihn zu bekämpfen überließ er sich ihr, ging zu Boden, ließ seinen Körper wie betrunken in den Raum hinter seiner Kältekapsel taumeln. Er spürte die Verwirrung im Raum, als sich ihm die Schatten näherten mit gezischten Befehlen. Keine Schreie, kein weiteres Feuern ... fast die perfekte Stille, dachte er. Erstaunliche Disziplin, als wenn ...

Egal. Ihm blieben nur wenige Augenblicke, und das war alles, was er brauchte. Im Schutze der Dunkelheit gab er den Code zum Öffnen des Kästchens in das Schloß ein. Er knetete seine Hände, tödliche Waffen in ihrer Bestimmung, Schlangen, die auf ihr Gift warten.

Der Kasten öffnete sich nicht. Blieb verschlossen, ein Klotz totes, kaltes Metall in seinen Händen. Schnell drehte er ihn um, versuchte, die Buchstaben zu erkennen, die auf den Deckel gedruckt waren: A. Shaw. Sie hatten die Kästen ausgetauscht.

Ein Schatten tauchte über ihm auf, und er nahm vertraute Gesichtszüge, bläulich schimmernd, wahr.

"Du ..." sagte er, versuchte, Zeit zu gewinnen.

Ein schwarzer, metallener Schatten traf ihn, und seine Gedanken explodierten in einem blauen Feuerwerk am dunklen, nächtlichen Himmel.

  Aus der Unity-Bibliothek,
Doktor Yangs Sammlung:

Waffen sind das Handwerkszeug der Angst;
ein schlauer Mann versucht, sie zu meiden,
es sei denn, es ist ein Notfall.
Wenn sie nötig sind, setzte er sie nur
mit äußerster Beherrschung ein.

In Trauer geht er in einen Kampf,
mit Schmerz und großem Erbarmen,
so, als würde er einem großen Begräbnis
beiwohnen.

Tao Te Ching,
Übersetzung von Steven Mitchell.