Reise nach Centauri: 5. Kapitel
 
Eine der Luken der Kommandozentrale öffnete sich mit einem Zischen. Garland schaute auf und sah eine schmale, abgezehrte Silhouette, vom Alter gebeugt, die nahezu wieder im Halbdunkeln des Zugangsweges zu verschwinden schien.

"Captain."

Garland kniff die Augen zusammen und richtete sich wieder auf, als die Person eintrat. Lal unterbrach seine schnellen Bewegungen über die Konsole und schaute auf. Deirdre starrte weiterhin auf die Auswertungen vor ihr.

"Doktor Zakharov", sagte Garland. Der alte Mann ging weiter und stoppte erst in der Nähe der ovalen Tischs in der Mitte des Raumes. Er legte eine Hand auf die Platte. Garland schaute auf die Hand herab und nahm die faltige Haut und das leichte Zittern wahr, das in krassem Gegensatz zu dem jungen Gesicht des Russen stand. Der Schlaf hatte ihnen allen den Rest gegeben, aber Zakharov, der zwei Tage nach dem Start der Mission seinen 66. Geburtstag gefeiert hätte, wäre normalerweise jetzt schon tot, wäre da nicht der Stillstand durch den Kälteschlaf gewesen.

Doch dann schaute der Russe auf, und der Captain wurde von der Intensität der blauen Augen gefesselt, die diesen unstillbaren Wissensdurst ausstrahlten und den eisernen Willen, den die letzten Tage der russischen Republik in ihm geformt hatten. Das United Nations Mission Council hatte immer wieder darauf hingewiesen, daß er der Beste sei, und Garland konnte nicht die politischen Motive erahnen, die hinter jeder ihrer Entscheidungen steckten. Wie auch immer, sie brauchten ihn jetzt.

"Gut, daß Sie hergekommen sind, Prokhor."

"Ja, Captain. Ich kam, so schnell ich konnte." Etwas von diesem Feuer war verloren gegangen, abgelöst von dem gejagten Blick eines Mannes, der von seiner eigenen Sterblichkeit überschattet wird. Garland erinnerte sich wieder an die persönlichen Daten, vor allem aber an Zakharovs unermüdliche Forschung der Genetik und der Alterungsprozesse. "Selbstlos" nannte dies das Bewertungskommitee der U.N., aber Garland blieben Zweifel.

"Wie ist der Zustand des Schiffs?" fragte Zakharov.

"Nicht besonders."

"Aber auch nicht kritisch", fuhr Deirdre dazwischen, obwohl sie ihren Vorgesetzten bisher keines Blickes gewürdigt hatte.

"Officer Skye, erzählen Sie Doktor Zakharov, was wir bisher rausgefunden haben."

Ein dreidimensionales Gittermodell des Schiffs erschien auf einem der Monitore und rotierte um die eigene Achse, während Deirdre ihren Statusbericht ablieferte. "Das Schiff wurde von einem unbekannten Objekt getroffen, circa 48 Astro-Einheiten von unserem Zielplaneten entfernt. Der Fusionsantrieb ist der Programmierung entsprechend abgeschaltet worden."

"Ich weiß, wie er programmiert ist." Dieser ungeduldige russische Akzent. Deirdre hielt inne. Lal erhob sich von seinem Stuhl und ging hinüber, als Garland Deirdre dazu aufforderte fortzufahren.

"Okay. Da sich der Antrieb abschaltete, während das Schiff abgebremst wurde, bewegen wir uns mit annehmbarer Geschwindigkeit auf einer Flugbahn, die uns direkt durch das Centauri-System trägt.Wir müssen innerhalb von vier Tagen Reparaturen vornehmen und die Energie wieder aufladen, ansonsten schießen wir über den Zielplaneten hinaus und verlassen das System."

"Können wir das Schiff wenden?" fragte Garland.

"Der Bordcomputer hat eine Möglichkeit ermittelt, wie wir uns mit dem wenigen Treibstoff, der uns noch verbleibt, in einer elliptischen Umlaufbahn plazieren könnten, ähnlich einem Kometen. Wir könnten dann die Gravitation des Centauri-Systems nutzen, um nach einer bestimmten Anzahl von Erdenjahren wieder zum Planeten zurückzukehren."

"Nach einer bestimmten Anzahl von Erdenjahren? Wie viele?" zischte Zakharov, seine Stimme wie eine Eiswand zwischen ihnen.

"75 Erdenjahre."

Zakharov schlug mit den Händen auf den Tisch. "Nein!" schrie er. "Wir werden alle im Weltraum sterben!"

Deirdre schaute ihn ärgerlich an und schüttelte den Kopf. "Nicht alle." Sie deutete auf einen der Monitore mit der Video-Ansicht eines der sechs funktionierenden Kältedecks, wo über tausend Besatzungsmitglieder in ihren Glaskapseln schliefen. "Die halten auch noch achtzig Jahre und mehr durch."

Pravin nickte. "Wenn wir den Fusionsantrieb nicht in vier Tagen reparieren können, ist das unsere einzige Möglichkeit. Wir vier können alles Notwendige vorbereiten, und der Rest der Crew würde bis zur nächsten Runde überleben."

"Lächerlich!" sagte Zakharov. "Sie meinen also, wir sollten mit unseren acht Händen das Schiff flicken und uns dann in Skyes Gärten amüsieren, bis wir umkommen."

Er drehte sich zum Captain um. "Lassen Sie mich meine Ingenieure wecken, Captain, so viele wie möglich, und den Fusionsantrieb neu starten." Er rieb seine Hände. "Vier Tage reichen. Sie haben dieses Risiko auf sich genommen, als sie sich der Mission anschlossen. Sie sind absolut loyal ... sie werden das Schiff rechtzeitig flott kriegen."

Der Captain spielte an dem U.N.-Abzeichen an seiner Brust. "Wie viele sollen geweckt werden?"

"Vierhundert, Captain. Meine besten."

"Und wenn sie das Schiff nicht rechtzeitig hinkriegen, und wir weitere 75 Jahre benötigen, um zum Planeten zurückzukehren, dann fühlen Sie sich wohl bei dem Gedanken, das Todesurteil für sie alle unterschrieben zu haben und mit ihnen gemeinsam auf diesem Schiff zu sterben?"

"Vier Tage reichen", wiederholte Zakharov stur. "Ich übernehme das Risiko, Captain. Ich lasse nicht zu, daß uns diese Mission aus den Händen gleitet und ich wie ein geprügelter Hund in mein Quartier zurückschleichen muß."

"Wir müssen uns entscheiden, Captain", sagte Lal leise. "Wir sind fast am Ziel, und Zeit ist enorm wichtig."

Garland nickte und schloß für einen Moment seine Augen. Als er sie wieder öffnete, fixierte er Zakharov. Er sah eine tiefe Sehnsucht in den Augen des Russen, eine Sehnsucht, die ihn nahezu auffraß ... aber in diesem Fall könnte sie möglicherweise diese Mission retten.

"Wecken Sie sie auf", sagte Garland, und Zakharov nickte. Deirdre drehte sich weg.

  Logbuch-Eintrag
Prokhor Zakharov, Oberster
Wissenschaftsoffizier

Vorschlag: Ich wachte aus dem Kälteschlaf auf
und fand meinen Captain, seinen treuen Freund
Pravin Lal sowie meine Mitarbeiterin Skye
dabei, die Daten unseres beschädigten Schiffs
auszuwerten. Ich beabsichtige, meine
Mitarbeiter aus dem Kälteschlaf zu wecken und
das Schiff zu reparieren, koste es, was es
wolle.

Ich werde nicht im Weltraum sterben, nicht so
nah an unserer neuen Welt.